In der letzten Ausgabe von „PR im Dialog 2025“ spricht Tim Benedict Wegner, Head of IAA Marketing & Communications beim Verband der Automobilindustrie (VDA) e.V., über disruptive Kommunikation, den Wert von Fakten in einer Welt voller Desinformation und die Rolle von Daten als Fundament moderner PR.
1. Was war Ihr persönliches PR-Highlight im ersten Halbjahr 2025?
2. Gab es etwas, das Sie in Ihrer Rolle als Kommunikator im ersten Halbjahr überrascht oder zum Umdenken gebracht hat?
3. Welche Themen werden Ihrer Einschätzung nach die Kommunikationsarbeit in den nächsten Monaten prägen?
4. Angenommen, Ihr Team hätte ab morgen keinen Zugang mehr zur Meltwater-Plattform. Was würde Ihnen im Arbeitsalltag am meisten fehlen?
1. Was war Ihr persönliches PR-Highlight im ersten Halbjahr 2025?
Für mich war es eindeutig der Case von Astromer nach dem sogenannten Kiss-Cam-Skandal. Gwyneth Paltrow trat als temporäre Sprecherin in einem Werbespot für Astronomer auf. In dem Video adressierte sie den "Kiss-Cam"-Vorfall mit Humor und Selbstironie. Ihre Kernaussage war sinngemäß, dass das Unternehmen nun zur Tagesordnung übergehe und sich wieder auf seine Kernkompetenzen konzentriere. Ihre Beteiligung war entscheidend, da ihre persönliche Verbindung zur Situation – als Ex-Frau von Chris Martin – dem Ganzen eine Meta-Ebene verlieh.
Aus Sicht der Kommunikation war dies ein gewagter, aber gelungener PR-Coup:
Gewagt: Der Einsatz von Humor in der Krisenkommunikation ist riskant. Er hätte als Trivialisierung eines potenziell ernsten HR-Problems (die Affäre zwischen Führungskräften) wahrgenommen werden können. Die direkte Thematisierung des Skandals hätte das Reputationsmanagement auch negativ beeinflussen können, wenn die Tonalität nicht exakt getroffen worden wäre.
Gelungen: Astronomer hat es geschafft, die Deutungshoheit über den Vorfall zurückzugewinnen. Anstatt in einer reaktiven Verteidigungsposition zu verharren, nutzte das Unternehmen die Technik des Reframing. Die Erzählung wurde von "Skandal-Firma" zu "clevere, humorvolle Marke" umgedeutet. Paltrow fungierte dabei als perfektes Testimonial, dessen Einsatz allein schon für maximale Aufmerksamkeit sorgte. Diese Form der disruptiven Kommunikation durchbrach die erwarteten Reaktionsmuster. Anstatt den Skandal zu managen, wurde er durch kreatives Storytelling instrumentalisiert, was zu enormer Earned Media (unbezahlter Medienberichterstattung) führte und die Bekanntheit der Marke schlagartig erhöhte.
2. Gab es etwas, das Sie in Ihrer Rolle als Kommunikator im ersten Halbjahr überrascht oder zum Umdenken gebracht hat?
Das erste Halbjahr 2025 hat mich weniger überrascht, als vielmehr in einer zentralen Überzeugung bestärkt: Wir leben in einem Zeitalter, in dem authentische Kommunikation nicht nur wünschenswert, sondern existenziell für den Erfolg ist. Die Grundlage dafür sind und bleiben Fakten.
Exkurs: Das Informationszeitalter
Wir befinden uns in einer Ära, die durch einen beispiellosen Überschuss an Informationen und eine extreme Vernetzung gekennzeichnet ist. Jeder kann Sender sein, jede Information ist nur einen Klick entfernt und Meinungen verbreiten sich in Echtzeit. Diese Dynamik führt zu zwei Konsequenzen: Erstens eine hohe Skepsis beim Publikum, das gelernt hat, Botschaften kritisch zu hinterfragen. Zweitens eine enorme Schwierigkeit für Organisationen, mit ihren Botschaften überhaupt noch durchzudringen. In diesem Umfeld verlieren klassische, polierte PR-Kampagnen an Wirkung. Was zählt, ist Glaubwürdigkeit.
Glaubwürdigkeit bzw. Authentizität bedeutet für mich hier, als Organisation transparent, menschlich und vor allem faktentreu zu kommunizieren. Es geht darum, eine kohärente Identität zu zeigen, die auf nachprüfbaren Wahrheiten beruht. Eine reine Behauptung oder eine emotionale Inszenierung ohne faktische Grundlage wird im Informationszeitalter schnell als solche entlarvt und schadet der Reputation nachhaltig.
Hier finde ich die aktuelle Arbeit von Yuval Noah Harari, in seinem Buch "Nexus: Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke", relevant. Harari argumentiert, dass die Macht der Menschheit auf ihrer Fähigkeit beruhe, durch Informationsnetzwerke zu kooperieren. Gleichzeitig warnt er, dass genau diese Netzwerke uns heute durch die Flut an Desinformation und die Komplexität der KI an den Rand der Selbstzerstörung bringen, da gemeinsame auf faktenbasierte Realitäten abhanden kommen können.
Für die Kommunikation bedeutet das für mich: Wenn das Vertrauen in Informationsnetzwerke erodiert, wird die einzige stabile Währung der nachprüfbare Fakt sein. Eine Kommunikation, die sich auf Fakten stützt, ist nicht nur eine ethische Entscheidung, sondern eine strategische Notwendigkeit, um in einem von Misstrauen geprägten Umfeld überhaupt noch Vertrauen aufbauen zu können. Einige Ereignisse des ersten Halbjahres haben für mich diese These bestätigt. Organisationen, die versuchten, Fakten zu verschleiern oder durch reine Narrative zu ersetzen, verloren an Boden. Jene, die ihre Kommunikation auf einem soliden, faktenbasierten Fundament aufbauten, konnten ihre Position stärken.
3. Welche Themen werden Ihrer Einschätzung nach die Kommunikationsarbeit in den nächsten Monaten prägen?
Die Arbeit mit Live Daten und der Vorteil, mit KI schneller aus Big Data Smart Data zu machen.
4. Angenommen, Ihr Team hätte ab morgen keinen Zugang mehr zur Meltwater-Plattform. Was würde Ihnen im Arbeitsalltag am meisten fehlen?
Am meisten würde mir die integrierte Analyse- und Monitoring-Fähigkeit fehlen. Die Plattform bündelt Medienbeobachtung über Online, Social und Broadcast. Ohne sie müssten wir auf eine Vielzahl von Einzel-Tools zurückgreifen. Das wäre nicht nur ineffizient und zeitaufwändig, sondern würde vor allem die ganzheitliche Sicht auf unsere Themen und Kampagnen erschweren. Die Fähigkeit, in Echtzeit zu erkennen, wie sich eine Botschaft über verschiedene Kanäle hinweg entwickelt, welche Stakeholder sie aufgreifen und welche Tonalität vorherrscht, ginge verloren. Die strategische Steuerung der Kommunikation würde dadurch reaktiver und daten-ärmer werden.
Über Tim Benedict Wegner
Tim Benedict Wegner (31) ist Head of IAA Marketing & Communications beim Verband der Automobilindustrie (VDA) und leitet als Fachgebietsleiter die Kommunikation für die IAA-Plattformen. Sein Team verantwortet die Bereiche PR, Social Media, die Redaktion, die Website sowie das Marketing für die IAA MOBILITY und die IAA TRANSPORTATION. In seiner Arbeit versteht er Kommunikation als ein strategisches Werkzeug, das wirksame und nachhaltige Kampagnen hervorbringen muss. Sein Ziel ist es, die Markenbekanntheit und das Engagement zu stärken. Zur Umsetzung nutzt er Methoden wie datengestützte Medienanalyse und Storytelling. Seine berufliche Laufbahn führte ihn über das ZDF, dem Handelsblatt, die Messe Berlin GmbH zum VDA ; Tim Benedict Wegner ist studierter Politologe und schloss 2017 seinen Masterstudiengang an der Universität Rostock ab. 2021 wurde er vom PR Report als „30 unter 30“ (2021) ausgezeichnet. Außerdem ist Wegner Träger des DPRG Junior Awards (2020).